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500 Jahre Kirchenmusik: Wittenberg und Torgau feiern 2024 Johann Walters Geistliches Gesangsbüchlein mit der Konzertreihe „fides cantat“

Musikland Sachsen-Anhalt unterhielt sich mit dem Kantor Christoph Hagemann von der Stadtkirche in Wittenberg über die für 2024 zusammen mit den Kirchenmusikern aus Torgau geplante Konzertreihe fides cantat. Gefeiert werden soll die Veröffentlichung des ersten Gesangsbuchs von Johann Walter im Jahr 1524 in Wittenberg. Das Buch kann als Geburtsstunde der Kirchenmusik betrachtet werden.

Über Johann Walters Gesangsbüchlein

Musikland Sachsen-Anhalt: Wie ist es biografisch zu erklären, dass Johann Walter ein Gesangsbüchlein zusammengestellt hat? Worin hat sich Johann Walter zu anderen Kantoren dieser Zeit unterschieden?

Christoph Hagemann: Johann Walter war als 23jähriger Student im Jahr 1519 in Leipzig dabei, als der 13 Jahre ältere Martin Luther seine Reformation in der berühmten „Leipziger Disputation“ gegen Johannes Eck verteidigte. Seit dieser Zeit scheint er glühender Anhänger Martin Luthers gewesen zu sein.

Als er 1524 sein „Geistliches Gesangbüchlein“ veröffentlichte, war er Sänger in der Hofkapelle Friedrichs des Weisen. Erst 1527, nach der Auflösung der Hofkapelle, wurde er Kantor in Torgau. Das hieß aber zu seiner wie auch noch zu Bachs Zeit: vor allem Lehrer an der Knabenschule, nicht nur für Musik. Die Schüler bildeten zusammen mit Erwachsenen Sängern für die Männerstimmen den Chor.

Walters Gesangbüchlein, zu dem Martin Luther das Vorwort schrieb, reiht sich ein in das Bemühen der Reformatoren Anfang der 1520er Jahre, den neuen Glauben im Volk zu verbreiten: 1523/24 erschienen mit dem Achtliederbuch und dem Erfurter Enchiridion zwei Gesangbücher, in denen die neuen Lieder der Reformation zum ersten Mal gedruckt wurden. Viele dieser neuen Lieder wurden von Walter im Gesangbüchlein mehrstimmig gesetzt.

Musikland Sachsen-Anhalt: Können Sie die Verbindung zwischen Luther in Wittenberg und Walter in Torgau etwas genauer beschreiben bzw. historische einordnen. Warum wurde das Buch in Wittenberg veröffentlicht?

Christoph Hagemann: Warum das Buch in Wittenberg gedruckt wurde, ist mir nicht bekannt. Es ist noch nicht mal klar, in welcher der damals drei Wittenberger Druckereien die erste Ausgabe erschien.

Es scheint aber so, als ob Luther und Walter eng zusammengearbeitet hätten: Luther schreibt das Vorwort, hat Walter sicher auch die neuen Lieder vorab zukommen lassen. Über einen dreiwöchigen Besuch in Wittenberg schreibt Walter später, er habe mit Luther „gar manche liebe Stunde gesungen und oftmals gesehen, wie der teure Mann vom Singen so lustig und fröhlich im Geist ward, dass er des Singens schier nicht konnte müde und satt werden“.

Musikland Sachsen-Anhalt: Welche Bedeutung für die Kirchenmusik hat das Gesangsbüchlein von Johann Walter?

Christoph Hagemann: Es hatte in seiner Zeit große Bedeutung und weite Verbreitung. Allein zu seinen Lebzeiten hat Walter sieben immer wieder erweiterte Auflagen veröffentlichen können. 1533 lässt sich der französische Botschafter in England von Hans Holbein porträtieren. Neben Globus, Kompass und Laute ist auch ein aufgeschlagenes Exemplar des „Geistlichen Gesangbüchleins“ abgebildet und soll wohl die hohe Bildung des Adligen demonstrieren.

Das Gesangsbüchlein in der Kirchenmusik

Musikland Sachsen-Anhalt: Spielen die Lieder aus dem Gesangsbuch heute noch eine Rolle in der Kirchenmusik? Werden in den Konzerten der Reihe fides cantat auch Titel aus dem Buch zu hören sein? Bzw. welche Verbindung gibt es zwischen den eingeladenen Chören und dem Jubiläum der Gesangsbuch-Ausgabe von Johann Walter?

Christoph Hagemann: Die Lieder der Reformation sind bis heute lebendig. „Aus tiefer Not“, „Nun komm, der Heiden Heiland“ und natürlich „Ein feste Burg ist unser Gott“ werden weltweit im Gottesdienst gesungen. Die mehrstimmigen Sätze Johann Walters allerdings sind aufgrund ihrer Komplexität kaum noch in Gebrauch. Alle eingeladenen Chöre haben daher die Aufgabe, sich im Konzert neu mit Werken aus dem „Geistlichen Gesangbüchlein“ zu befassen. Ich bin gespannt.

2024 fides cantat

Die Konzertreihe fides cantat 2024

Musikland Sachsen-Anhalt: Wie haben Sie die Chöre, die in Wittenberg und Torgau singen ausgewählt?

Christoph Hagemann: Es war eine spannende Aufgabe, aus den fast vierzig Bewerbungen zehn Chöre auszuwählen. Die Jury – Christiane Bräutigam aus Torgau, Thomas Herzer und ich – möchte in der Auswahl zu zeigen, wie vielfältig die Nachfolgerinnen und Nachfolger Johann Walters quer durch Deutschland auf hohem Niveau evangelische Kirchenmusik gestalten.

Die Besetzung reicht vom Knabenchor über die große Kantorei bis zum Kammerchor, die Stile von Klassik bis Pop, die Orte von Stuttgart und Augsburg bis Oldenburg und Rostock.

Musikland Sachsen-Anhalt: Auf welches Konzert freuen Sie persönlich sich besonders und warum?

Christoph Hagemann: Ich freue mich auf die stilistische Vielfalt, die wir erleben werden.

Besonders freue ich mich auf den Jugendchor Großenhain-Reinersdorf- Ebersbach mit seinem Leiter Stefan Jänke, denn er schafft es seit mehr als 10 Jahren, in der Zusammenarbeit zwischen Kirche und Schule viele Kinder und Jugendliche aus ganz normalen Schulen für das Chorsingen zu begeistern.

Christoph Hagemann. Als Kanotr ist er in der Stadtkirche Wittenberg zuständig für die Kirchenmusik.
Christoph Hagemann. Als Kanotr ist er in der Stadtkirche Wittenberg zuständig für die Kirchenmusik.